Freitag, Juli 21, 2006

Der Tag der seltsamen Geschichten II

Die Geschichte hängt mir tatsächlich noch nach.

Die Mutter von Tim soll ja relativ zeitnah nach der...ja...Geburt? Abtreibung? Beides zugleich? ...wie auch immer...sie soll gestorben sein. Ob sie mit der Entscheidung nicht klarkam? Wenn der Vater noch lebt: Ob er manchmal nachdenkt darüber, was sie dem Kind angetan haben? Was wäre gewesen, wenn die leiblichen Eltern das Kind angenommen hätten? Wie wächst man auf in einer Familie, die einen eigentlich nicht wollte? Die einen selbst dann noch nicht wollte, als man durch den eigenen Überlebenswillen klargestellt hatte, dass man sich nicht einfach umbringen lässt, nicht einmal, wenn man zehn Stunden unversorgt liegengelassen wird?

Für mich als jemanden, der die Möglichkeit einer straffreien Abtreibung grundsätzlich immer für wünschenswert hielt, birgt das Thema noch viel mehr Zündstoff.

Abtreibung innerhalb der ersten 12 Wochen, "klar", da ist das werdende Leben wenigstens noch nicht alleine lebensfähig, da gerät man nie in die Lage, dass das Kind nach einer Abtreibung überleben könnte.
Anders bei späten Abtreibungen, die prinzipiell jederzeit zulässig sind, wenn die Aussicht besteht, dass ein schwer behindertes Kind zur Welt kommen würde...

Noch vor einigen Jahren war das Problem nicht ganz so brisant, war es doch sehr unwahrscheinlich, dass ein Kind, das im Gestationsalter von Tim geboren/abgetrieben wird, überleben würde, doch die Medizin macht zunehmende Fortschritte, immer winzigere Kinder können durch enormen technischen Aufwand überleben, wenn sie auch oft schwere Schäden davontragen. Heute gilt die 23. Schwangerschaftswoche als eine wichtige Grenze für das Überleben des Kindes, sagt Wikipedia.

Wie lange wird es dauern, bis auch ein Kind in der zwanzigsten, sechzehnten, zwölften Woche am Leben erhalten werden kann?

Wie kann man es rechtfertigen, ein prinzipiell bereits lebensfähiges Kind sterben zu lassen, auch wenn es vielleicht z.B. am Down-Syndrom leidet?

Mag es ohnehin klar sein, dass das Kind nicht lebensfähig sein wird, z.B. beim Vorliegen einer Anencephalie, nun gut, dann mag eine Abtreibung "gerechtfertigt" sein, aber ein Kind mit Down-Syndrom kann leben, kann glücklich sein, meine Fresse, es gab sogar schon zwei junge Menschen mit Trisomie 21, die tatsächlich einen Universitätsabschluss geschafft haben. Ausnahmefälle zwar, aber sie zeigen, dass man nie weiß, was für ein bemerkenswertes Individuum man da tötet.

Selbst wenn man es den Frauen mit einem möglicherweise behinderten Kind zugesteht, selbst zu entscheiden, ob sie dieses Kind austragen wollen - wo sollte man die Grenze ansetzen, bis zu welcher Woche ein Kind, das prinzipiell, würde es ausgetragen, überleben könnte, überhaupt abgetrieben werden dürfte? Immer an dem Punkt, ab dem ein "gewolltes" Kind gerettet werden könnte? Es darf nicht passieren, dass ein Kind seine eigene Abtreibung überlebt - überleben kann. Diesen Gewissenskonflikt kann man niemandem zumuten...nicht der Mutter, die dann plötzlich doch ein lebendiges Kind hat, das sie ja eigentlich nicht wollte...nicht dem Arzt, der eigentlich den Auftrag hat, das Kind zu töten, der es dann aber retten muss, wenn es "dummerweise" überlebt - wenn er den ursprünglichen Wunsch der Mutter beherzigt, die das Kind nicht wollte, indem er es sterben lässt, so macht er sich einer unterlassenen Hilfeleistung strafbar. Weiter: Überlebt das Kind, das meinetwegen im sechsten Monat zur Welt kam, so kann die frühe Geburt es noch mehr beeinträchtigen - Körperverletzung, auf eine absurde Art und Weise.

Es ist alles so verzwickt, so verdammt verzwickt...und da sitze ich hier und denke jahrelang, dass es okay ist, im dritten Monat ein gesundes Kind abzutreiben. Woher die Rechtfertigung? Woher nehmen wir uns das Recht, dem Kind die weitere Entwicklung zu verwehren, wenn es doch leben will, leben wird, wenn man es nur noch einige Monate im Bauch der Mutter lässt?
Und warum sitze ich nun hier und denke trotzdem, trotz all dieser Gewissenskonflikte, dass es doch irgendwie "nicht so schlimm" ist, im zweiten oder dritten Monat eine Abtreibung vorzunehmen?

Fazit:
Ich finde es nicht richtig, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, wenn das Kind bereits am Leben erhalten werden kann, also spätestens ab dem 6. Monat.
Ich akzeptiere die Abtreibung eines nicht lebensfähigen Kindes.
Ich finde es nicht richtig, im 4. oder 5. Monat ein prinzipiell - wenn man es leben lässt - lebensfähiges Kind abzutreiben, ob es nun behindert zur Welt kommen mag oder nicht.

Aber: Ich akzeptiere Abtreibungen bis zum 3. Monat.

Warum? Warum, verdammt? Nur weil das Kind da noch so klein ist? Was macht den Unterschied zwischen der 12. und der 13. Woche in meinem Kopf aus? Nur das Gesetz?

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